Spirituelles – Ostergedanken von Abt Reinhold Dessl

Dankesansprache von Abt Reinhold

Abt Reinhold Dessl

Ostergedanken von Abt Reinhold Dessl

Brücke über den Tod

Brücken haben für mich immer etwas Faszinierendes an sich.
Ich denke an Meisterleistungen der Brückenbaukunst,
wie etwa die so genannte Brücke der Normandie,
die mit fast einem Kilometer Spannweite die größte Schrägseilbrücke Europas ist.
Ich denke an kleine, kunstvoll gestaltete Brücken, die auch notwendig sind,
weil man ohne sie vor einer unüberwindlichen Grenze stehen würde.

Ich meine, auch das Osterfest hängt sehr eng mit einer Brücke zusammen.
Es geht um die Brücke mit der größten Spannweite überhaupt,
es geht bei Ostern um die Brücke zwischen Leben und Tod, Diesseits und Jenseits,
es geht um die Brücke zwischen Mensch und Gott.

Zunächst haben die Jünger Jesu den Tod ihres Meisters nicht als Brücke,
sondern als Grenze erlebt.
Jeder Tod ist zunächst einmal wie ein Abbruch aller Beziehungen.
Es bricht nicht nur irgendetwas ab,
ein Gespräch, eine Verbindung, eine Bekanntschaft,
sondern der Tod ist wirklich wie ein Totalabbruch aller Brücken,
die den Lebensstrom überqueren.
Der Mensch muss seinen Leib zurücklassen.
Und der Leib ist ja gleichsam unsere Brücke schlechthin,
er ist das Mittel, mit dem wir uns ausdrücken,
das Mittel, mit dem wir und durch das wir mit anderen in Verbindung,
in Kommunikation und auch in Kommunion treten können.

Wir glauben, dass Jesus ganz Gott war und ganz Mensch,
darum ist auch nicht ein bisschen etwas von ihm gestorben oder nur ein Teil von ihm,
sondern wirklich er selber als ganzer Mensch.
Die Jünger und Jüngerinnen haben diesen Schmerz der Trennung erlebt,
die Trauer, sein Begräbnis in aller Eile.
Und der Ostersonntag kommt auch nicht gleich nach dem Karfreitag,
sondern es liegt der Karsamstag mit seiner Grabesruhe dazwischen.
Man braucht deshalb auch nicht sofort vom Schmerz einer Trennung
in den Auferstehungsjubel überzugehen,
sondern es braucht auch das Zwischenstadium,
die Trauer und den Umgang mit dem Schmerz.

Es wird an keiner Stelle der Heiligen Schrift beschrieben,
wie das Ostergeschehen, das heißt die Auferstehung Jesu vor sich gegangen ist.
Der Bau dieser Brücke, die Tod und Leben verbindet,
bleibt also im Dunkeln und Geheimnisvollen.
Denn es ist nicht eine Brücke, die von menschlicher Seite gebaut wurde,
sondern es ist eine Brücke, die von Gott gebaut wurde.
Gottes Liebe lässt den Menschen nicht fallen über alle Gräben des Todes hinweg;
an seinem Sohn hat er das in unüberbietbarer Weise gezeigt.
Der Engel am leeren Grab ist wie ein Wegzeiger hin zu dieser Brücke:
„Fürchtet euch nicht! Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten.
Er ist nicht hier; denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat.“

Ich wünsche allen ein gesegnetes und frohes Osterfest 2014.
Abt Reinhold Dessl

Karwoche und Ostern in der Stiftskirche Wilhering

15.04.2014 cb