Spirituelles – Weihnachtsbotschaft von Abt Reinhold Dessl

Dankesansprache von Abt Reinhold

Abt Reinhold Dessl

Weihnachtsbotschaft 2019 von Abt Reinhold Dessl

Stallgeruch

„Wenn du ein Kind siehst, dann hast du Gott auf frischer Tat ertappt.“ Dieser Ausspruch stammt von Martin Luther. In der Tat: Die Geburt eines Kindes erzeugt Staunen und Freude und konfrontiert uns mit dem großen Geheimnis des Lebens. Wenn man die strahlenden Augen von frischgebackenen Müttern und Vätern sieht, dann versteht man auch das Empfinden von Josef und Maria besser, die im Schauen auf das Jesuskind die Gegenwart Gottes in ihrem Leben wahrnahmen.

Wir könnten auch sagen: Wir haben in der Weihnachtsnacht den Schöpfergott auf frischer Tat ertappt. Wenn wir das Kind in der Krippe sehen und anbeten, dann sehen und berühren wir dieses einzigartige und außergewöhnliche Ereignis, das den Lauf der Geschichte verändert hat und das auch zum Ausgangspunkt für unsere Zeitrechnung der Jahre vor und nach Christi Geburt wurde.

Gottes Handlungsweise betäubt gewissermaßen, denn es scheint unmöglich, dass er auf seine Herrlichkeit verzichtet, um ein Mensch zu werden wie wir. Es ist kein Märchen und keine fromme Legende, sondern ein tiefes Geheimnis des Glaubens. Weil Gott verrückt ist vor Liebe zum Menschen, tauscht er mit ihm gleichsam die Kleider und lässt sich so wie jeder Mensch am Anfang mit Windeln bekleiden.

Es ist eine Geburt in einer Ausnahmesituation, in einer schwer zu benennenden Familienkonstellation und in einer ganz und gar nicht kirchlichen räumlichen Umgebung. Gott nimmt sozusagen den „Stallgeruch“ dieser Welt an, um uns zu zeigen, dass es fortan keinen Ort und keine Situation mehr gibt, wo wir nicht seine Nähe und Hilfe erfahren dürfen. Auf diesem „Mist“ von Bethlehem darf auch mein eigener Glaube wachsen und Nahrung empfangen.

Aufbrechen

Interessanterweise sind es nicht die Theologen aus der Stadt Jerusalem und auch nicht die feine Gesellschaft, die sich als erste zum Kind in der Krippe bewegen, sondern die Hirten vom Feld. Sie waren nicht als besonders gläubig bekannt und schon gar nicht als reich. Und doch sind sie die Ersten, die sich bewegen lassen von der Botschaft vom neugeborenen Kind: „Lasst uns nach Bethlehem gehen, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr kundgetan hat“, sagen sie.

Von den Hirten lernen wir, aufzubrechen und uns auf den Weg zum Gotteskind zu machen. Und wir wollen auch nicht beim Kind stehenbleiben, sondern sehen in diesem Kind schon den erwachsenen Jesus, der uns mit seiner Botschaft herausfordert und der auch Ablehnung erfährt. Wir leben in einer Zeit, wo Menschen sehr selbstbestimmt ihren Weg gehen wollen, auch im religiösen Bereich. Trotz aller Entkirchlichung gibt es eine tiefe spirituelle Suche von vielen Menschen. Was gibt mir Halt und Kraft im Leben? Wie kann ich aus dem Hamsterrad des Berufes und des Alltags ausbrechen und mich wieder mehr für das Wesentliche des Lebens öffnen? Unser Zisterzienserordensvater Bernhard von Clairvaux hat einmal in einer Predigt gesagt: „Du musst nicht über Meere reisen, musst nicht die Alpen überqueren, der Weg, der dir gezeigt wird, ist nicht weit: Du musst deinem Gott nur bis zu dir selbst entgegengehen.“

Verbundenheit mit der ganzen Schöpfung

Auf dem Grund unserer Seele können wir Gott begegnen. Gott und Mensch sind in Jesus neu verbunden. Über der Ärmlichkeit von Bethlehem strahlt deshalb auch der Chor der Engel, der das Lob Gottes singt: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.“ Dieses Kind von Bethlehem ist wie kein anderes dem himmlischen Vater „gleichsam wie aus dem Gesicht geschnitten“ und ihm gleich. Und zugleich erkennen wir in diesem Gesicht des Kindes von Bethlehem auch die Gesichter der Menschen wieder, besonders die Gesichter der Kinder, die in schwierigen Umständen geboren werden, in den Flüchtlingslagern der Welt, in armen Verhältnissen.

In diesem Kind von Bethlehem ertappen wir Gott auf frischer Tat. Gott taucht in dieser Nacht in unsere Welt ein. Wir sind neu in unsere eigene Mitte gerufen. Und zugleich wird dadurch die Verbundenheit mit der ganzen Schöpfung erneuert.

Ich wünsche uns allen ein gesegnetes und friedvolles Weihnachtsfest!

Abt Reinhold Dessl

 

Zu Bethlehem geboren ist uns ein Kindelein ... Stiftskirche Wilhering

Die Geburt unseres Herrn Jesus Christus
Relief in der Stiftskirche Wilhering